Für das nächste Mal, falls dieses in dieser obsessiven Form je wieder kommen sollte, habe ich wohl sogar schon die musikalische Untermalung parat: Anfangs, wenn man voll jugendlichen Elan ist, kommt Hoss Boss rein (bei denen waren wir zweimal auf Konzert, schon als sie ganz „klein“ waren), wenn man sich fröhlich in Rage geputzt hat, dann Prodigy (bei denen waren wir auch, aber da waren sie schon groß), zwischendurch auch mal den lustigen singenden Rabbi, den Anne mir kürzlich schickte, und wenn der nicht mehr wirkt, dann wieder Prodigy. Größtenteils gute Laune und guter Arbeitseffekt.
Kommt man langsam zum Nachdenken, ob man eigentlich bescheuert ist, in einem solchen Tempo zu arbeiten und wo, beziehungsweise eher: ob man eigentlich weitermachen soll, ist Zeit für Beständigkeit, aber immer noch fröhlich, d.h. Abba, Tropicalia, oder zum Beispiel Fanta Vier: „Du wirst geboren, was machst du draus. Baust ein Haus, ziehst da rein, schaust da raus, atmest ein und atmest aus.“ Genau. Schon geht das Schrubben besser, aber so, dass der Arm nicht mehr so Weh tut.
„Was ist der Sinn? Ist da noch mehr?“ Diese Frage ist bei mir wohl ständig präsent, täglich, mehrmals, selbst wenn ich nicht daran denke, das heißt, nicht explizit in meinem Kopf formuliere. „Wo gehen wir hin? Wo kommen wir her?“ Gute Frage, wichtige Frage. Aber heute putze ich.
Miles Davis ist für klares Wasser und weiche Tücher vorgesehen, oder wenn man schon was für zwischendurch zu bewundern hat. Angelo Branduardi auch, aber der könnte einen dazu bewegen, die eine Fläche nochmal zu wischen, die aus der Ferne nicht mehr so glänzt, deshalb am Ende nur noch Miles Davis, der ist Vollendung. Ich könnte jetzt mein ganzes Musikprogramm und die benutzten Mittel aufzählen, aber meine immer noch geschundenen Augen tränen schon wieder und eigentlich wollte ich erzählen: Ich fliege morgen nach Namibia. Ich habe ein Fernweh, das geht auf keine Kuhhaut. Spontan gebucht wie fast immer, das ist halt bei mir und Steffen situationsbedingt so. Allen Unkenrufen zutrotz („Etosha musst du ein Jahr im Voraus buchen!“) steht zumindest die erste Hälfte der Reise, inkl. drei Übernachtungen in Okaukuejo (am angeblich besten Wasserloch in Etosha), den Rest müssen wir dann schauen. Es ist ja keine „Hummeldumm“-Busreise, sondern Allradmietwagen und Individual.
Namibia fasziniert mich seit Langem, ich war übrigens noch nie in Afrika (Ägypten zählt ja nicht) und fühle, dass meinem Weltbild deshalb ein zu großes Puzzleteil fehlt. Die Wiege der Menschheit. Ich sehe mich deshalb irgendwie in Embryostellung auf warmer Erde Afrikas liegen, vielleicht in der Wüstengegend oder im Damaraland, oder im Kaokoveld. Vermutlich werde ich dort in Wirklichkeit nirgends herumliegen, noch weniger in Embryostellung, auch wenn es so menschenleer ist, dass es keineswegs Aufsehen erregen würde, außer bei Steffen vielleicht. Der mich dann vor Skorpionen, Schlangen, Spinnen warnen würde (zurecht) und fragen würde, wie lange ich so wohl liegen bleiben will und wann wir weiter fahren. Aber mein Herz ist so voller Vorfreude, dass ich nicht weiter von meinen mit diesem Land verbundenen Vorstellungen erzählen will, ich muss nämlich noch was machen, bevor ich gleich schlafen gehe.
Gepackt habe ich noch nicht, es existiert allerdings ein ansehnlicher Haufen auf dem Boden, der nur irgendwie in die Tasche muss. Da ich meine morgige Chemo zum Glück auf heute verschieben konnte („Ja, was du morgen könntest besorgen, das verschiebe besser auf heute“. Warum hier der Reim auf der Strecke blieb, weiß ich grad’ nicht. Und warum meine Tumormarker plötzlich auf das Dreifache gestiegen sind, weiß ich noch weniger. Aber ich verweigere mich momentan, meiner Reise durch diese Nachricht auch nur ein Mikrogramm Vorfreude nehmen zu lassen. Vermutlich habe ich zu lange keine größere Reise unternommen, das wird's sein, also höchste Zeit, mein Leben wieder mal zu verlängern.) Ich habe also massig Zeit. Theoretisch zumindest. Aber ich mache jetzt mal Schluss, sonst fange ich doch noch an, hier schriftlich von Namibia zu träumen. Das mache ich dann besser in natura, das heißt, im Schlaf. Gute Nacht und hoffentlich bis bald - in nicht alter, sondern neuer Frische.