Montag, 23. Mai 2011

WARNUNG

 
Ein Blogleser hat mich unbewusst dazu gebracht, diesen Beitrag zu schreiben. Er hat mein Buch seiner Frau, die gerade mit adjuvanten Brustkrebstherapien zu kämpfen hat, in die Hand gedrückt, ohne es selbst gelesen oder wenigstens überflogen zu haben. Als ich das hörte, lief es mir kalt den Rücken runter.

Ich habe sowieso jedes Mal Bauch(und Brust)schmerzen, wenn ich sehe, dass mein Buch unter „Brustkrebs“ gelistet wird. Bei Amazon steht es unter anderem in der Kategorie Bücher > Ratgeber > Gesundheit & Medizin > Frauen > Brust & Brustkrebs. Mehr daneben kann man kaum noch liegen, denn es spielt keine große Rolle mehr, dass ich vor sieben Jahren mal Brustkrebs hatte. (Selbst wenn, hätte ich kein Interesse daran gehabt, einen Ratgeber zu fabrizieren, von denen es auf dem Büchermarkt mehr als genug gibt, zum Teil auch sehr gute und informative.) Jetzt habe ich Lebermetastasen, keine medizinische Heilungschance mehr, und meine Lebenssituation, meine Ziele, meine Psyche und meine Seele haben sich völlig verändert.

Um zu vermeiden, dass noch mehr Angehörige das Buch einfach so weiterempfehlen (das war jetzt der dritte Fall, von dem ich hörte - also allerhöchste Eisenbahn für mich), nur weil dort das Wort ‚Brustkrebs’ vorkommt oder sie irgendwo gehört haben, das Buch sei ganz toll und interessant, nur weil seine Frau mit ihren Freundinnen letztens so lebhaft darüber diskutiert hat, fühle ich mich verpflichtet, eine Warnung vor meinem eigenen Buch auszusprechen:

Schenken Sie das Buch NICHT an Menschen, die gerade frisch diagnostiziert worden sind, kurz vor einer Krebstherapie stehen oder mittendrin stecken. Schenken Sie dieses Buch am besten an überhaupt keinen, der Krebs hat oder hatte, UND dem noch alle Wege zur Heilung offen stehen, denn diese Personen haben eine völlig andere Lebenssituation als ich. Geben Sie es nur weiter, wenn Sie die betroffene Person in- und auswendig kennen, sie humoristisch veranlagt und nicht ganz unbelesen ist und Sie meinen, dass es eine originelle, spannende Geschichte ist, die ihr eh schon sehr differenziertes Weltbild ergänzen könnte. Bei geringstem Zweifel bitte ich, vom Kauf meines Buches abzusehen.

Als ich selbst vor sieben Jahren in dieser – für mich aus heutiger Sicht beneidenswerter - Situation war, hätte ich nie ein Buch lesen wollen, an dessen Ende als Quintessenz NICHT stand: „Ich habe den Krebs besiegt, jetzt ist erst mal alles gut.“ Damals ging es mir nur um Heilung und die Bestätigung, dass auch meine Geschichte bestimmt gut ausgehen wird. Alles andere war nebensächlich und Todkranke waren eine Welt, mit der ich nichts zu tun haben wollte. Eine Bekannte, die in der Onkologie arbeitete, sagte mir damals: „Es ist erstaunlich, wie viele Wunder bei uns dann doch immer wieder geschehen.“ Ich wartete gebannt und gierig auf erstaunliche Erfolgsgeschichten, als sie sagte: „Wir haben da gerade einen Mann, der längst tot sein müsste, aber er liegt da seit fünf Monaten und ist sogar ansprechbar und alles“. Was sich in meinem Innern bei der „Pointe“ abspielte, weiß sie gar nicht. Und mir damals, als ich nach einem Therapiemarathon ein neues, gesundes Leben beginnen wollte, ein Buch zu empfehlen, weil darin jemand seine Todesdiagnose ganz gut meistert, hätte mich total verstört. Bitte, tun Sie es nicht, liebe Angehörige.
 
Ganz abgesehen davon: Es ist auch nichts für Menschen, die gerne Rosamunde-Pilcher-Filme schauen, weil sie sagen, die seien so spannend / gut erzählt / schön / romantisch, und das Leben sei schon schwer genug, da käme das Stück heile Welt am Abend gerade recht. (Vor allem aber, weil sie so gut erzählt seien.)

Und es ist nichts für Menschen, die der Meinung sind, dass man ernste Themen in einer ernsten Sprache behandeln muss, weil man der Sache sonst nicht gerecht würde. Mein Credo lautet: Eine leichte Verschiebung im Blickwinkel rückt die Sachen oftmals erst zurecht.


Bedenkenlos empfehlen kann ich das Buch dagegen vor allem Gesunden, die mit ihrem Leben unzufrieden sind und einen Vergleich nach unten gut gebrauchen können. Für diese kann es sehr heilsam sein, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. (Wie ein Leser seinen Freunden gesagt hat: „Wenn ihr Sorgen habt, lest dieses Buch. Danach habt ihr keine mehr.“) Dann für Todkranke, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, die aus ihrem Tief und den trüben Gedanken nicht rauskommen und auch keine psychoonkologische Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Aber auch hier nicht für sehr instabile Menschen; für Menschen, die meinen, da ginge es um eine Wunderheilung; oder für solche, die schon in Ohnmacht fallen, wenn sie sich in den Daumen schneiden. (Ok., Letzteres können sich Todkranke eh wohl nicht leisten.)  

Keine allzu großen Bedenken habe ich, es den Angehörigen von solchen Kranken (müssen nicht nur Krebskranke sein) zu empfehlen, die keine Heilung erwarten können. Zumindest erhalten die Angehörigen einen kleinen Einblick in die Psyche und die Gedankenwelt von Menschen, die todkrank sind und altersmäßig eigentlich mitten im Leben stehen müssten. Natürlich bilden Todkranke keine homogene Bevölkerungsgruppe, die ähnlich tickt. Es ist genauso durchwachsen von Weltanschauungen und Umgangsstrategien mit dem Leben und dem Tod wie jede andere. Deshalb ist es nur EINE Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Eben meine.


Ich weiß, dass das Buch eine unheimlich starke Wirkung entfaltet, es macht etwas mit Menschen, was nicht unbedingt leicht zu lenken ist. Jedenfalls schüttelt es den Leser erst mal gründlich durch, und ich schließe nicht aus, dass besonders instabile Personen ein „Schütteltrauma“ davontragen können. Die meisten anderen kommen natürlich ohne Blessuren davon, aber ob es ihnen passt oder nicht - irgendetwas wird meistens passieren.

Kürzlich schrieb mir eine ältere Leserin: „Ihr Buch ist verhext. Es zog mich so in seinen Bann, dass ich alles um mich herum vergaß, bis ich es zu Ende gelesen hatte. Ich habe mich gefürchtet, mitgefiebert, war erleichtert und glücklich und im nächsten Kapitel lag ich wieder am Boden, zusammen mit Ihnen. Ich habe geweint und gelacht wie bei keinem anderen Buch, manchmal beides gleichzeitig. Als ich das Buch zumachte, war ich ganz verschwitzt und fertig mit den Nerven, aber traurig und glücklich und einfach anders. Danach war ich noch tagelang ganz abwesend und vergesslich und immer in Gedanken bei Ihnen und Ihrem Leben. Mein Mann fragte, warum ich so komisch bin. Ich sagte: Dieses Buch lässt mich nicht mehr los. Mein Mann verstand nur Bahnhof, weil so hat er mich noch nie erlebt. Dann las er es selbst und ihm ging es genauso.

Leider weiß ich nicht, wie lange dieser irritierende Zustand bei diesem Ehepaar anhielt (es fehlen noch Langzeitstudien), aber Ähnliches höre ich immer wieder. Und nicht jeder mag einer solchen Wirkung gewachsen sein oder das überhaupt wollen. Das Buch ist nichts für schwache Nerven, und auch wenn es mit leichter Hand geschrieben ist, ist der Inhalt oftmals harter, bitterer Tobak.

Es müsste jetzt deutlich geworden sein, dass es kein Brustkrebsratgeber ist, sondern das Buch beschreibt in einer fast romanhaften Form eine konkrete auswegslose Situation innerhalb einer noch viel größeren auswegslosen Situation. Ich als Todkranke unternahm eine, wie ich dachte: letzte Reise in meinem Leben, weil ich mir noch was Schönes gönnen wollte und von meinem Lieblingsreiseland Abschied nehmen wollte, bevor ich von meinem ganzen Leben Abschied nehmen würde. Was ich bekam, waren acht Tage nicht enden wollenden Horrors, die fast mit meinem Tod geendet hätten – und dies auf eine ganz andere Weise als ich angesichts meiner Krebsdiagnose erwartet hätte. Ich musste bei dieser Reise alles, was ich glaubte, über Leben und Tod bereits gelernt zu haben, über Bord werfen oder zumindest relativieren.

Ich möchte nicht die Quintessenz des Ganzen darlegen, denn jeder zieht daraus seine eigenen Schlüsse, die er in seinem eigenen Leben und seiner eigenen Innenwelt einordnen kann oder eben nicht. Jeder nimmt aus Büchern nur das mit, was irgendwo in ihm bereits schlummert und auf Resonanz stoßen KANN. So soll es auch sein.

Aber noch mal: Bitte denken Sie gut nach, bevor Sie das Buch ungelesen einer kürzlich erkrankten Person schenken. Mehr als aufklären kann ich nicht, und das habe ich jetzt möglichst ausgiebig getan. Deshalb kann ich nun mit ruhigem Gewissen eine spannende Lektüre wünschen.

7 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. "Bedenkenlos empfehlen kann ich das Buch dagegen vor allem Gesunden, die mit ihrem Leben unzufrieden sind und einen Vergleich nach unten gut gebrauchen können."

    oh, dann passe ich nicht 100%ig in deine zielgruppe. ich bin gesund, zufrieden und empfinde dein buch (und deine blogs) als einen vergleich nach oben!

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  3. Ich habe jetzt eine Kundenrezssion verfast, nachdem meine Frau das Buch gelesen hat. Ich hoffe, das ist o.K. so, da ich Dich ja auch zitiert habe. Sonst lösche ich es wieder.

    KEIN Ratgeber, nichts für schwache Nerven, nicht verschenken! Aber sehr guter Erlebnisbericht, 11. Juni 2011

    Meine Frau hat Brustkrebs. Ich habe es für sie gekauft, weil sie es lesen wollte. Es ist aber kein Buch über Brustkrebs, sondern ein Erlebnisbericht von einer tollen Frau, die um ihr Leben kämpft, aber nicht mehr gesund wird. Ich bin auf das Buch gekommen, weil ich Irja Kass im Radio gehört und im TV gesehen habe und weil meine Frau das Buch lesen wollte. Ich hätte meiner Frau das Buch niemals geschenkt, ohne es vorher selbst gelesen zu haben und ohne sicher zu sein, dass sie diesen Stil mit speziellem Humor und diese direkte Sprache mag. Wenn Sie die Krise bekommen, wenn man Ihnen ein bisschen Blut abnimmt oder wenn sie den Beibackzettel von einem Antibiotikum durchlesen ist das Buch nicht für Sie geeignet.
    Irja Kass schreibt selbst in ihrem Blog: Bedenkenlos empfehlen kann ich das Buch dagegen vor allem Gesunden, die mit ihrem Leben unzufrieden sind und einen Vergleich nach unten gut gebrauchen können. Für diese kann es sehr heilsam sein, wie ich aus eigener Erfahrung weiß...
    Und: Keine allzu großen Bedenken habe ich, es den Angehörigen von solchen Kranken (müssen nicht nur Krebskranke sein) zu empfehlen, die keine Heilung erwarten können. Zumindest erhalten die Angehörigen einen kleinen Einblick in die Psyche und die Gedankenwelt von Menschen, die todkrank sind und altersmäßig eigentlich mitten im Leben stehen müssten...
    Das ist nur ein Auszug aus ihrem Blog.
    So, wo das geklärt ist, jetzt zur Kritik: Es ist ein spannendes Buch und Irja Kass ist eine tolle Frau. Meine Frau hat das Buch verschlungen, das hat sie seit Jahren nicht. Also für die richtige Zielgruppe ist das Buch eine Bereicherung. Meine Frau sagt, es wird in Erinnerung bleiben. Ihr hat es Kraft gegeben und geholfen, einen neuen Weg zu finden. Deshalb 5*

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  4. Oh, das ist ja nett mit der Rezension, da hast Du Dir aber Arbeit gemacht, danke. Übrigens: da fehlen irgendwie Kommentare ("Vom Autor entfernt" (?) Der bin jedenfalls nicht ich. Hätte die noch gern gesehen, aber die sind wech.)

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  5. Ach ja, ich freue mich sehr, dass es Mulle gefallen hat. Muss mich kurz fassen, weil ich morgen nach Namibia fliege, muss jetzt schnell schlafen gehen.

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  6. Gute Reise! Wir würden auch gern mal abhauen, aber wir gönnen es wirklich Dir von ganzem Herzen!

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  7. Danke, dass Du nachfragst wegen der gelöschten Kommentare.
    Ich habe sie selbst entfernt, weil ich mich mittlerweile weiter entwickelt habe und sie für mich nicht mehr stimmig sind.

    Wir würden gern wieder was von Dir lesen. Falls Du noch was in der Schublade hast, halt Dich nicht zurück. Dein Buch wird in Erinnerung bleiben. Bei uns in guter.

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