Mittwoch, 8. Juni 2011

Aber was MACHEN Sie denn so?

Ich werde oft gefragt, was ich denn so mache oder gemacht habe, insbesondere wenn ich ein paar Wochen nichts geschrieben habe. Die Antwort lautet meistens, nein, immer: Ich habe gelebt! Da blieb keine Zeit fürs Bloggen. Dass mein Blog kein Logbuch ist mit den genauen Trajektoren meines Treibens, auch wenn das Wort Log drinsteckt, sollte klar sein. Es interessiert mich selber meistens nicht, was die anderen MACHEN. Mich interessiert, was sie DENKEN. Da ich aber ein zuvorkommender Mensch bin, habe ich nachgedacht, was ich in den letzten Wochen oder Monaten denn tatsächlich so gemacht habe. Genauer: Was habe ich gemacht, wovon ich Fotos habe? Ich habe Fotos zum Beispiel von dieser Sache hier.



Wunderschön, aber kein Vergleich zum ersten Mal, das ich in meinem Buch so beschreibe:

Seit meiner Krankheit mache ich Sachen, die ich vielleicht nie getan hätte, wenn ich mehr Lebenszeit hätte. Einmal habe ich mich trotz meiner Höhenangst zu einem Tandemflug mit dem Gleitschirm durchgerungen. Schon nach den ersten Metern in der Luft wusste ich: Wegen solcher Erlebnisse möchte ich mein Leben nicht missen. Ich heulte dabei wie ein Schlosshund, benetzte quasi mit meinen Tränen die Erde, während ich auf sie zuschwebte.“

Diesmal habe ich nicht geheult. Stattdessen habe ich höchstens mit geographischem, geologischem und städtebaulichem Interesse die Umgebung von oben betrachtet und gedacht: „Sieh mal an, in diesem Miniort hat auch einer einen Swimmingpool. Der Bürgermeister? Mal schauen, ob irgendwo noch einer einen hat. Nee, wohl nicht. Ok, die schlechte Konjunktur, oder die durchschnittliche Jahrestemperatur ist zu niedrig zum Schwimmen. Es müsste aber warm genug sein, und vom Skifahren allein können sie nicht leben, es ist ja auch ein ausgewiesenes Sommerziel: Kühe, Gras und Fachwerkhäuser. Aber den Schrotthaufen da links, wo unser Auto steht - was macht diese Jugendgang da eigentlich neben unserem Auto? -, müssten die echt mal wegmachen, der kommt nicht so gut von oben. Oh, wir landen gleich. Was hat er noch gesagt - die Füße nicht einziehen, sondern schön mitlanden.“

Ich sah meine eigenen Thesen bestätigt: Neue Erlebnisse verlängern das Leben. Wiederholung ist nicht dasselbe. Routine verkürzt das Leben.

Dies war mit einer monotonen Höhlenmenschenstimme gesprochen. Und jetzt normal: Warum ist das bloß so? Warum kann man Glück so selten erleben? Warum habe ich mir selbst alles kaputt gemacht? Sind Erwartungen der Tod eines jeden Erlebnisses? Folgendes ist keineswegs eine Antwort. Auch keine Frage, sondern höchstens eine Teilfrage auf eine Teilantwort. Ja, genau so verquer.

Es braucht wohl doch Adrenalin, ein klein wenig Angst, um starke Emotionen zu spüren. Ich bin alles andere als ein Adrenalinjunkie, und obwohl es kaum etwas Schöneres gibt als die eigene Angst zu überwinden, kann ich von Angstüberwindung nicht mein restliches Leben zusammenbasteln, das wäre mir zu wenig. Nichtsdestotrotz habe ich bei diesem Flug, von dem ich mir so viel versprach, etwas vermisst. Vielleicht mich selber.

Nun hätte ich in der Luft Seifenblasen machen können, oder lesen, oder ein paar lustige Loopings, wenn der Fluglehrer das erlaubt hätte, oder wenn ich ihn überhaupt gefragt hätte. Vermutlich hätte er dann ganz schnell landen wollen. Ich hatte ihm schon vorher gesagt: "Mir wäre lieber, wenn wir in der Luft nicht sprechen". Letztes Mal hat er nämlich immer erklärt, was für ein See oder Hügel da drüben zu sehen sei. Ich saß vor ihm, ohne dass er mein Gesicht sah. Und weinte. Ich weinte und war glücklich, und wollte keine Menschensprache hören, die diesen Hügeln oder Seen Namen gegeben hat. Ich war diese Hügel, ich war diese Seen, ich fühlte mich Gott nahe. 

Nichts war ich diesmal. Ein armseliges Menschenwürstchen war ich, das überlegte, ob der Bürgermeister wohl korrupt sei, wenn er sich als Einziger einen Swimmingpool leisten kann.

3 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Liebe Irja,

    ich finde interessant, was du über einmalige Erlebnisse schreibst. Ja, es ist so, man kann sie nicht wiederholen, sonst wären sie ja nicht einmalig. Klar kannst du beim nächsten Gleitschirmflug Loopings machen. Das wäre eine Steigerung, die sicher Nervenkitzel in den Bauch jagt. Ist manchmal auch ein tolles Gefühl. Aber meistens berührt so etwas nicht die Seele. Dazu fehlt die Tiefe.

    Mit deinem Beitrag hast du mich zum Nachdenken gebracht: Warum sind manche Erlebnisse so besonders und warum lassen Sie sich nicht wiederholen oder steigern? Und was ist der Unterschied zwischen Nervenkitzel und einem Erlebnis, das die Seele berührt? Und wann kann auch Nervenkitzel die Seele berühren?

    Ich habe noch keine Antworten darauf.

    Aber diese Fragen interessieren mich, weil ich versuche erlebnisreich zu leben. Das bedeutet nicht, dass ich jeden Tag Bungee jumpen gehe. Ganz im Gegenteil. Manchmal sind es ganz kleine Momente, die mich berühren und manchmal sind es Grenzerfahrungen.

    Gestern bin ich beispielsweise mit dem Rad durch die Frankfurter Innenstadt gefahren. An einem Platz mit vielen Tischen und Stühlen spielte ein Straßenmusiker. Einer der Gäste an den Tischen, einer dieser Anzugträger, die sonst immer sehr gestresst und steif sind, wippte fröhlich mit dem Kopf zur Musik, während er sein Sandwich ass. Ich fuhr nur kurz an ihm vorbei, lächelte ihm zu und er lächelte mit vollen Backen zurück. Das ist ein Moment, der mich berührt, so ganz nebenbei im Alltag. Ein kleines Erlebnis, wie eine lecker süße Erdbeere.

    Dann gibt es auch diese Art von Erlebnissen, die ich beim Klettern an steilen Felswänden habe. Da muss man manchmal seinen ganzen Mut zusammen nehmen, um ein paar Zentimeter weiterzukommen. Beim Klettern geht es sehr oft darum eine kleine Bewegung auszuführen, die man sich nicht zutraut. Man hat Angst zu fallen, obwohl nichts passieren kann, denn man ist ja gesichert.

    In solchen Momenten, hänge ich also an einer unbequemen Stelle im Fels und dann kommt erstmal „Frau Angst“ und quatscht mich voll! Wir diskutieren heftig und während sie mir alle möglichen Horrorszenarien um die Ohren schmeißt, krame ich umständlich in einer „Schublade“ in meinem Innersten und suche das T-Shirt, auf dem draufsteht „Trau Dich!“ und „Du schaffst das“! Am Fels hängend, mit nur einer Hand frei, ist es nicht leicht mir das Shirt überzuziehen. Dabei versuche ich mich nicht ablenken zu lassen von „Frau Angst“ und „Frau Unsicherheit“, die nun auch noch dazwischen quasselt.

    Doch ich höre nicht mehr zu. Greife einfach weiter und steige nach oben. Bin völlig überrascht, dass es geklappt hat. Die „Damen“ lasse ich einfach zurück. In mir breitet sich Stille, Kraft und Ruhe aus.

    Wenn ich am Ende mitten in der Natur auf einem Felsen sitze und in die Weite schaue bin ich tief zufrieden und voller Zuversicht.

    So ein Erlebnis ist einmalig. Und doch lässt es sich wiederholen. Nicht dadurch, dass ich die selbe Stelle noch mal klettere, sondern in einer anderen Kletterroute, die eine neue Herausforderung an mich stellt.

    Was ich mitnehme ist eine Erfahrung, die mir Mut macht auch andere schwierige Stellen zu meistern, ob beim Klettern oder im sogenannten richtigen Leben.

    Das ist für mich innere Entwicklung.

    Ich zähle kleine und grosse Erlebnisse statt Geburtstage. Daran kann man meine Lebenserfahrung eher messen.

    Wer lange lebt, hat noch lange nicht gelebt!

    Deshalb gefällst Du mir Irja!

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  3. Darüber hirnen wir auch oft, wir haben uns vorgestern erst darüber unterhalten. Man fragt, wie geht es Dir? Und als Antwort zählt jemand auf, was er heute gemacht hat. Oder gestern. Und dann frage ich, wie geht es Dir wirklich? Und Gegenüber schaut einen kuhäugig an. Die Fragen, was ist mir wirklich wichtig, heute, dieses Jahr, in der Beziehung, der Arbeit, Wohnort, im Urlaub....? Haben wir das verloren? Und warum fühlen sich Leute wie ich, die sich und andere das immer wieder fragen, so unverstanden und einsam? Ich kann nicht sterben, ohne das ich das so gelebt habe. Und ich investiere unglaublich viel Zeit und Lebensenergie, um authentische Antworten zu finden, die stimmig sind und mein Leben so reich machen. Liegt das an meinem Beruf? Ich habe viel Leid gesehen, ich habe so viel Leid gesehen, dass ich oft den Kanal voll habe und doch immer wieder hingehe und ein bisschen von meiner Lebensfreude mitbringe. Wenn es mir gutgeht, dann kann ich was weiter geben. Die Menschen haben Knöpfe und man muss drauf drücken. Gewalt erzeugt Gewalt und Lächeln macht Lächeln. Funktioniert nicht immer, aber meistens und das lohnt sich. Ich bin glücklich, wenn ich mich selbst annehme. Was habe ich im Nachhinein gelitten, weil ich in der Pupertät meinen steifen Vater und meine oberflächliche Mutter fast in den Wahnsinn getrieben habe. Heute bin ich stolz darauf, dass ich der Störenfried war. Ja ich störe den Frieden der Pilcher-Rosenmarkt-Briefmarkensammlung-heilen Welt. Ich habe mich geschämt für meine Macken und heute nenne ich sie Ecken und Kanten. Ich habe mir Selbstvorwürfe gemacht, weil meine Eltern kein besseres Kind hatten, sonder ein verrücktes. Ja, ich bin verrückt. Ich habe den mir zugewiesenen Platz verlassen und damit meine Position im Familiensystem verrückt. Und das ist gut so. Ich bin unbequem, weil ich sage, was ich denke, wenn man mich danach fragt. Denn das zählt. So weiß man aber immer, woran man ist. Wer das nicht akzeptieren kann, hemmt mich. Was Hinz und Kunz macht interessiert mich nicht, aber das Echte, seinen Gefühlen vertrauen können und verbindlich sein in Sprache und Körpersprache. Das ist für mich göttlich. Was fördert ist richtig, was hemmt ist falsch. Ich spüre mich auch besser, so wie Ihr das beschrieben habt, wenn ich adrenalinlastig bin. Weil ich dann ganz bei mir bin. Das habe ich von der Verena Kast gelernt, vom Sinn der Angst. Da ist man mit sich allein und spürt sich mal wieder richtig. Das ist aber nur meine persönliche Meinung. Ein Blitzlich von meinen Gedanken und Gefühlen.

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