Dienstag, 2. August 2011

Zurück aus Namibia oder: Mein Gesundheitszustand Juli 2011


Ich bin zurück aus Namibia, schon seit zwei Wochen eigentlich, und der Alltag hat mich seit ebenso langer Zeit in seinem Griff. Bei anderen bricht der Alltag mit dem ersten Arbeitstag ein, bei mir wie immer mit der ersten Chemo. Immerhin hatte ich diesmal einen Tag Schonfrist, ich bin auch schon mal mit Affenzahn vom Flughafen direkt zur Chemo gefahren.

Ich habe ja immer posaunt, wie gut mein Blut und ich selbst nach jeder Reise beisammen sind. Zwar bin ich in Namibia regelrecht aufgeblüht, ich fühlte mich dort so lebendig wie schon lange nicht und spürte nichts von der unerfreulichen Entwicklung in meinem Innern, aber „subjektiv“ und „objektiv“ waren ja schon immer zwei Paar Schuhe. Bestand vor der Reise eine minimale Resthoffnung, dass der plötzliche rasante Anstieg der Tumormarker etwas mit meiner Allergie gegen Unbekannt zu tun hatte, ist diese Hoffnung längst verschwunden. Meine Tumormarker haben eigentlich schon immer korrekterweise und ihrem Namen entsprechend Tumortätigkeit angezeigt, mit Entzündungen oder sonstigen Irritationen halten sie sich nicht auf. Die Tumormarker sind also wieder gestiegen, die Metastasen gedeihen wieder prächtig, zumindest zwei davon, die Chemo scheint also abermals die Wirkung verloren zu haben. Deshalb wird zur Abwechslung mal wieder die Hochfrequenz- bzw. Radiofrequenzablation durchgeführt, zum dritten Mal mittlerweile.

Das erste Mal war grauenvoll, geradezu traumatisch für mich, natürlich nicht vergleichbar mit der Thailandsache, aber ich erinnere mich gut, wie ich während der Fahrt in den Aufwachraum zwischenzeitlich wach wurde und „Ich kann nicht atmen! Ich kann nicht atmen!“ schrie. Ich war in dem Moment ziemlich überzeugt, dass mein Brustkorb bei dem Atemzug, der in spätestens zehn Sekunden unausweichlich sein wird, zerplatzen würde, so schrecklich war der Schmerz. Der Brustkorb ist zwar nicht zerplatzt, aber ich hielt weiterhin meinen Atem vor jedem Zug so lange an wie möglich, weil das Einatmen noch ein wenig schrecklicher war als das Ausatmen. Was meinen Sauerstoffbedarf natürlich noch mal erhöhte und dadurch jeden Atemzug noch quälender machte, und so weiter, das altbekannte Prinzip eines Teufelskreises. Dabei neige ich normalerweise nicht zu Panikattacken, zumal zu solchen, die mit Schreien in der Öffentlichkeit, also in einem Krankenhaus, verbunden sind. Zum Glück wirkte irgendwann das Schmerzmittel, aber die Zeit bis dahin war, um nicht zu viele verschiedene Adjektive zu bemühen, schrecklich. Das zweite Mal war auch schrecklich, aber mehrere Prozentpunkte weniger.

Auch wenn durch diese Methode des „Verkochens durch die Hitze“ die Metastasen nicht für immer wegbleiben, ist sie für Unsereins ein regelrechter Segen, denn sie kann zum Teil die früher üblichen Leberoperationen ersetzen, bei denen der Bauch aufgeschnitten werden musste, das umliegende Gewebe wird auch weniger in Mitleidenschaft gezofen. Allerdings ist mir ein Rätsel, warum sie von den meisten durchführenden Kliniken als Spaziergang dargestellt wird: unkompliziert, kaum Nebenwirkungen, Narkose meist nicht nötig, der Patient in der Regel nach wenigen Tagen oder gar 24 Stunden wieder daheim… Nichts davon kann ich bestätigen. Zwar muss ich die ersten 20 Minuten halbwegs bei Bewusstsein bleiben, während derer ich total genervt bin, weil ich unendlich müde bin und keine Lust habe, „ansprechbar“ zu sein. Ich kriege nicht nur das Werkeln an meinem Oberbauch mit, sondern zum Teil, zumindest beim ersten Mal, auch die Schmerzen. Aber danach kommt die Erlösung („Fünf, vier, drei…“) und ich bin weg. Meiner Kenntnis nach nennt man das nicht „lokale Betäubung“, auch eine Sedierung ist ja eigentlich was anderes. Narkose, wenn auch eine leichte, würde es meiner Meinung nach korrekter definieren. (Okay, vielleicht lässt irgendein Verrückter das unter lokaler Betäubung und unter Beruhigungstabletten machen, glauben kann ich es nicht.) Desweiteren: Beim ersten Mal lag ich zehn Tage im Krankenhaus, zum Teil allerdings dadurch bedingt, dass ich eine Infektion mit hohem Fieber bekam. Das zweite Mal war ich schneller draußen, nach meiner Erinnerung nach vier-fünf Tagen, aber auch nur, weil ich dem Personal ein- und aufdringlich versicherte, ich fühlte mich super und würde zu Hause rumhüpfen wie ein junges Rehlein. Mein Schmerzmittelbedarf in den darauffolgenden Wochen war enorm und erst als ich statt dem Normalmorphium Morphium Retard bekam, konnte ich die Schmerzen auch wirklich kontrollieren. Wie es diesmal sein wird, weiß ich nicht. Aber da ich ansonsten genau so verfahren will wie letztes Mal, beziehungsweise vorhabe, am Wochenende wieder zu Hause zu sein, weil ich offiziell in meiner Wohnung herumhüpfen werde wie ein junges Rehlein, hoffe ich, dass niemand vom Krankenhauspersonal meinen Blog liest. Und noch hoffe ich, dass die MRT morgen nicht irgendeine Kontraindikation zeigt und die Sache überhaupt durchgeführt werden kann. Es dürfen nämlich nicht zu viele Metastasen sein, sie dürfen nicht zu blöd sitzen, wo die Verletzungsgefahr vom Wichtigem in der Umgebung zu groß ist und Ähnliches. Und wenn es doch nicht gehen sollte, tja, dann bin ich schon morgen wieder zu Hause. Das wäre bitter, denn das bedeutet wieder eine Möglichkeit weniger, diese verdammten Metastasen zumindest für eine Weile loszuwerden.

Das wurde jetzt doch eher ein Gesund- bzw. Krankheitsbeeitrag als ein Namibiabeitrag. Das Problem mit Namibia: Es war zu überwältigend, ich weiß einfach nicht, wo anfangen oder was rausgreifen, und so geht das seit zwei Wochen, während jeder Tag und jede Aktion mich immer mehr davon entfernt. Es prasselt und prasselt täglich Neues auf mich nieder, es war auch viel Schönes und sehr Schönes dabei in den letzten zwei Wochen, man könnte es fast Freizeitstress nennen. Daneben gab es zwar auch einige graue, geknickte und apathische Tage, in denen ich um das Grübeln aufgrund der neuerlichen Verschlechterung der Situation nicht herumkam. Aber dass ich Namibia erleben durfte, erfüllt mich mit einer abgrundtiefen Dankbarkeit. Ich bin vermutlich zu voll davon, um schon zu teilen oder etwas davon auszuschütten – muss wie bei einem zu vollen Wasserglas erst mal einen Schluck wegtrinken. Nach dem Krankenhausaufenthalt werde ich aber zumindest ein paar Bilder reinstellen.

4 Kommentare:

  1. Ich freue mich auf die Bilder und Deine Beschreibung. Nicht nur, weil ich es Dir gönne, sondern weil ich Deine Art, die Erlebnisse zu beschreiben so mag. Es gibt wenige Autoren und -innen (?), die so meine Fantasie anregen. Ich bin leider jemand, der keine visuellen Bilder auf Kommando herzaubern kann. Wenn alle anderen bei der Entspannung das Meer und Wolken sehen, wenn es aus dem Lautsprechern rauscht, wird bei mir lediglich die Blasenfunktion angeregt und ansonsten langweile ich mich und denke an triviale Dinge, wie z.B., dass ich den Wasserhahn im Garten noch aufdrehen muss.
    Deshalb lese ich auch gern von Dir. Es gibt wenig Bücher, die mit Deinem Stil mithalten können. Z.B. Wassermusik oder Schiffbruch mit Tiger. Das ist natürlich nur meine bescheidene persönliche Meinung.
    Zu Deinem Tumormarkern und Metastasen fällt mir leider nur ein lautes SCHEISSE! ein. Sorry, aber ich bin nur ein einfacher Mann und finde nicht immer die "richtigen" Worte. Obwohl ich Scheisse nach darüber Nachdenken immer noch sehr stimmig finde. Hm.
    Ich mache es nicht gern, ich will ja niemand erschrecken, aber es ist genauso, wie Du schreibst über das Missverhältnis von vorher und nachher bei Diagnostik und Therapie. "Das machen wir ambulant" wird zu "das hält keine Sau ohne Narkose aus". DIESEN Euphenismus braucht die Welt nicht. Auf jeden Fall ist es keine vertrauensbildende Maßnahme für das Patientinnen-Arzt-Verhältnis.
    Mulle ist sowieso gerade recht angefressen was das Thema betrifft. Falls es jemand interessiert, ich habe auch einen Blog, natürlich kein Vergleich zu diesem hier und ich bin nur Angehöriger. Bin auch einfach gestrickt, aber ich habe auch was zu sagen.
    Ohne Erlaubnis verlinke ich ihn nicht, er heißt Brustkrebs und andere, wie gehen wir Angehörige damit um, falls es jemand interessiert, wie ich das erlebe bei meiner Frau.
    Danke für Dein Lebenszeichen, Irja! Ich wünsche Dir von Herzen eine gute und noch bessere Zeit, Du hast es verdient.
    Liebe Grüße, Roland

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  2. Hallo Irja,
    ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn man über eine Reise erstmal nicht berichten kann.

    Dein Leben nach Namibia hört sich anstrengend an. Ich bin traurig und wütend darüber, dass Dir Deine Tumore immer wieder in die Quere kommen. Ich denke an Dich in den nächsten Tagen, besonders morgen!

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  3. Liebe Irja,
    auch wenn ich zur Zeit viel um die Ohren habe, denke ich immer wieder an Dich! Jeden Tag wünsche ich mir von Dir neue Reisepläne zu hören oder einfach nur ein Foto von Dir zu sehen, bei dem Du die Sonne geniesst auf deinem Balkon! Heute scheint in Frankfurt die Sonne, ich hoffe bei Dir im Schwabenland auch!
    :)

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  4. Hallo Roland, danke schon wieder für die vielen lieben Worte. Du kannst sicher sein, dass ich früher oder später jeden Kommentar lese, auch wenn ich nicht antworte (komme ja oft nicht mal dazu, endlich einen neuen Blogbeitrag zu verfassen; Kommentare zu kommentieren, egal wie nett sie sind, bleibt dann noch eher auf der Strecke). Und meine Erlaubnis zum Verlinken Deines Blogs hast Du natürlich genauso verdient wie ich eine bessere Zeit (danke) :-). Auch dazu, in Deinem Blog mal reinzuschauen, bin ich noch nicht gekommen, werde es aber sicher noch irgendwann machen. Ich hoffe, es macht Dir Spaß zu schreiben (ich glaube aber schon!), und außerdem hoffe ich, dass es Mulle bzw. Euch beiden gut und immer besser geht. Bitte grüße sie von mir unbekannterweise ganz herzlich.

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