Dienstag, 21. Februar 2012

Die Rückkehr des Hungers

Das Frieren kannte ich so noch nicht. Ich war selbst mit acht Kleiderschichten und einer Daunendecke in einer völlig überheizten Wohnung nicht in der Lage, eine einigermaßen komfortable Körpertemperatur herzustellen, so dass ich wie ein poikilothermes Lebewesen tagelang weitgehend in einer einmal eingenommenen Position verharrte. Mit dem Unterschied, dass Wechselblüter durch eine externe Wärmequelle irgendwann mal warm werden. Ich wurde nicht warm. Es herrschte Stillstand. Die Körperfunktionen waren auch abseits der Eigenwärme so reduziert, dass „Tod durch Entkräftung“ für mich mittlerweile nicht mehr abstrakt ist, ich kann mir ungefähr vorstellen, wie  so etwas abläuft. So ähnlich könnte in der Tat auch meine Endphase aussehen.

Ich nahm immer weiter ab, wog wohl nicht mehr als 40 Kilo, aber wenn man das Gefühl hat, da schwappt noch der Speisebrei von vor drei Tagen im Magen herum, mutet sich eine Nahrungsaufnahme wie ein lieber zu vermeidender Gewaltakt an. (Wie ich das Thai-Curry zu Silvester gekocht habe, weiß ich nicht. Ich habe sogar in der Tat davon gegessen und musste sagen: Hervorragend gelungen. Aber nach dem Kochen war ich fertig, als hätte ich zwölf Hektar Land mit einem altersschwachen Ochsen und Kind auf dem Rücken umgepflügt. Also ohne Ochsen auf dem Rücken, nur mit einem Kind, aber trotzdem.) Sogar ein Pickel in meinem Gesicht blieb tage- und wochenlang in demselben Zustand, wurde weder schlimmer noch besser. Stillstand eben, auf allen Fronten. Medizinisch betrachtet wohl alles recht bedenklich (ich meine jetzt natürlich nicht den Pickel), aber ich wusste, dass es nur eine Phase ist, dass das Ende noch nicht da sein kann, dass ich das Dahinvegetieren mit einem entschlossenen Aufbäumen beenden könnte, zwar nicht auf einen Schlag, aber peu  à peu. Nur hatte ich keine Kraft und auch keine große Lust mich aufzubäumen, es war mir egal.

Am bedenklichsten fand ich allerdings die Tatsache, dass ich bei Menschen im Fernsehen oder auch in Echt nicht vorrangig daran dachte, wie sie leben oder gelebt haben, sondern wie sie gestorben sind oder sterben werden. So habe ich immer schon auch bei den wegen der beschleunigten Bewegungen etwas grotesk wirkenden, stummen Aufnahmen aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts gedacht: „Alle, die ich dort gerade sehe, sind tot. Alle. Ohne Ausnahme.“ Nun kam ich mir selbst vor wie eine dieser Figuren, nur dass ich mich kaum bewegte, geschweige denn einen Tick zu schnell. So ähnlich fühlte ich mich in den wattetauben Tagen nach der Diagnose, als ich mal aus irgendeinem Grund in dem hiesigen Einkaufszentrum wandelte und dachte: „Ihr wisst es nicht, aber ich bin nur ein Geist“. Gesteigert wurden diese Gedanken in besonders schlimmen Momenten noch durch Einwürfe wie: „Wir sind alle verloren, alle miteinander. Niemand kann mir helfen, niemand kann irgendjemandem helfen. Was kann ein Würmchen schon ausrichten, um ein anderes Würmchen zu retten? Nichts.“

In diesem geistigen und körperlichen Zustand trat ich meine Reise nach Bali an. Aus dem Krankenbett ins Flugzeug steigen und mit den verbliebenen 100 Gramm Muskeln mehr als 24 qualvolle Stunden lang ans andere Ende der Welt reisen – ja, was soll man dazu sagen. (Aber es soll ja auch Leute geben, die fliegen ohne Haut am Körper um die Welt, siehe „Tot auf Probe“.) Eigentlich hätten wir auch gleich nach Australien, dem Inbegriff vom „anderen Ende der Welt“ fliegen können, es hätte sich nichts genommen. Schon als Steffen und ich im Morgengrauen ins eiskalte Auto stiegen, um zum Flughafen zu fahren, dachte ich: „Was mache ich da bloß wieder?“ Und dieser Gedanke tauchte fortan mehrmals stündlich auf. Kein Mensch, geschweige denn ein Mediziner, hätte mich hinfliegen lassen, hätte er mich vor dem Einsteigen live erlebt. Ich musste beim Check-in mich mit beiden Händen an der Theke festhalten und mich doch zwischendurch auf den Koffer setzen. Noch nie hat ein Beamter in der Passkontrolle so lange abwechselnd mein Foto und mich angestarrt. Irgendwann glaubte er aber wohl immerhin, dass ich nicht unter falschem Namen reise. Vermutlich hielt er mich für einen langjährigen Junkie. Da es aber kein Gesetz gibt, das Junkies das Reisen explizit verbietet, ließ er mich letztlich ohne eine einzige Frage durch.

Während Steffen und ich 12 Stunden lang auf der ersten Strecke nach Kuala Lumpur ironischerweise ausgerechnet auf den allerletzten Plätzen saßen, die man nicht verstellen kann, dachte ich: „Wenn ich aus dieser Sache ohne eine Lungenembolie rauskomme... Vielleicht gehe ich sehenden Auges in meinen Tod und die anderen Fluggäste müssen leider einen Teil der Strecke mit meiner am Sitz festgebundenen verdeckten Leiche verbringen“ (so profan kann es laufen, wenn der Flug komplett ausgebucht ist und die Geschichte von dem, der angeblich stundenlang zwei Reihen hinter einer Leiche saß, stimmt).  Ich besaß kein adäquates Zeitgefühl und schaute deshalb nicht mehr auf dem Display nach, wo wir sind. Wenn ich dachte, wir seien irgendwo über Indien oder zumindest Afghanistan, hatten wir noch nicht mal Wien erreicht. Falls man aufgrund einer langen Liegezeit nicht mehr weiß, wie man eigentlich aufrecht sitzt und seinen Sitz nicht mal fünf Zentimeter nach hinten stellen kann, kann der Verzicht auf Distanzkontrolle sinnvoll sein, es reduziert die Verzweiflungsmomente.
Der zweite Flug von Kuala Lumpur nach Denpasar, Bali verlief in Resignation und Apathie, ich habe auch nicht mehr wie sonst immer gedacht: „Wenn wir abstürzen, dann bitte auf dem Rückflug, dann habe ich wenigstens vorher was erlebt“. Mir war es egal, ob wir abstürzen, auch im Bewusstsein, dass es so dahingedacht ist und dass ich im Ernstfall wie alle anderen nach der Sauerstoffmaske greifen würde. Ich wollte nichts mehr, ich wollte auch nicht nach Bali, ich wollte ein Bett. Das hatte ich zu Hause gehabt, also dachte ich mal wieder: „Warum bin ich bloß hier?“.
Während wir auch noch drei Stunden lang in einem Taxi von Denpasar ans andere Ende der Insel gondelten, wusste ich nicht mehr, ob ich lachen oder weinen sollte. Selbst Steffen, der Gesunde von uns beiden, sagte: „Ich bin am Ende. Wir sind bescheuert. Warum konnten wir uns nicht was Näheres aussuchen.“

Diese mühsame 24-stündige Anreise hat nicht meine Reserven aufgebraucht – ich hatte schon vorher keine. Ich habe es komplett aus der Substanz gemacht.  Aber manchmal muss man wohl in Vorleistung gehen, indem man die eigene Substanz als Pfand hergibt. Und man erhält dafür zunächst nichts als eine Verheißung, eine Hoffnung. Man weiß nicht, ob es ein Fiasko wird oder ob man sein Pfand doppelt zurückbekommt.

Ich bekam mein Pfand zehnfach zurück. Es war wie eine Ohrfeige für den Ohnmächtigen. Ich erwachte schlagartig zum Leben. Und mein Körper überraschte mich schon wieder. Ich entwickelte im Handumdrehen einen nie dagewesenen Hunger. Es wäre nicht falsch zu behaupten: einen Hunger nach Leben. Das wäre zudem schön und nur ein bisschen pathetisch. Aber in erster Linie ging es mir doch ums Essen. Ich futterte mehr als Steffen, ich wachte sogar nachts auf und aß schnell und konzentriert ganze Schachteln Kekse und jegliches herumliegende Obst, bis nichts mehr da war. Eines Nachts ging ich vor Hunger sogar auf die Suche nach den Bananenbäumen im Garten, von denen die Bananen am Vortag angeblich stammten. Die waren abgeerntet, der Rest zu klein, und ich wartete sehnsüchtig auf den Morgen, um wieder irgendetwas essen zu können. Ich hortete Keksschachteln, um nachts versorgt zu sein, falls ich aufwache. Ich dachte fast nur ans Essen und kannte nur zwei Zustände: einen unbändigen Hunger oder ein wahnsinniges Völlegefühl. Und doch war es herrlich. Nicht gerade normal, aber herrlich. Mein Körper hatte wohl gedacht, er würde tatsächlich verhungern, es käme nichts mehr, nie mehr – und dann plötzlich das! Natürlich nimmt man da alles, was man kriegt, und am liebsten noch mehr.

Die Schönheit des Landes, in dem ich angekommen war, hat mich zunächst nur gestreift. Ich fand es lieblich, angenehm, aber sie berauschte mich nicht, ich war zu beschäftigt mit mir selbst, auch wenn ich noch nie in Indonesien war. Aber ich war mir nicht böse – erst das Brot, dann die Spiele.

Das Bedürfnis nach Essen blieb allgegenwärtig und ich spürte förmlich, wie die Knochen millimeterweise wieder von Fleisch bedeckt wurden. Und ich erkannte, was für ein Glück es war, dass ich verrückt genug war, etwas auf mich zu nehmen, wovon mir fast jeder vernünftige Mensch abgeraten hätte, geschweige denn es selbst zu unternehmen. Es gab allerdings genug Situationen, in denen ich abermals dachte: „Was mache ich hier bloß wieder?“ Das war der Fall, als ich mit einem Hotelbediensteten auf dem Mofa eine Höllenfahrt über Stock und Stein im Jungle mitmachte, weil wir wieder mal ganz was Abgelegenes gebucht hatten. (Machen Sie das mal auf dünnen Knochen und mit postoperativen Verwachsungen in der Leber, die gemeinsam mit dem Mageninhalt herumhüpfen.) Oder als ich anderthalb Stunden auf einem Kahn ohne Sitzgelegenheit bzw. auf einer Art Hühnerstange verbrachte – für jemanden mit wenig Kraft und schmerzenden Knochen nicht so einfach zu bewältigen. Aber es ist zu bewältigen. (Dass es nichts zum Sitzen gab, hatte damit zu tun, dass man uns statt der versprochenen Fähre ein Frachtgutboot gab – friss oder stirb.)
Ich habe schon viele aufregende Bootsfahrten in meinem Leben mitgemacht, auf die manche Menschen gern verzichtet hätten, aber als wir von der kleinen Insel, die einer anderen kleinen Insel vorgelagert war, zurück aufs Festland fuhren, schien das uralte Miniboot dem Meer tatsächlich hilflos ausgeliefert zu sein, zumindest waren die Menschen im Boot dem halbwahnsinnigen Bootsführer hilflos ausgeliefert. Während selbst Steffen langsam bleich um die Nase wurde, grinste und ich muss gestehen, sogar jaulte ich jedes Mal etwas kindisch auf, als mein Hintern den Kontakt zu dem Sitz verlor, obwohl ich genau wusste, dass die anschließende Landung sich anmuten würde wie ein Aufschlag auf einen harten Holzboden. (Das wusste ich vom Meer gar nicht – dass es sich manchmal verhält, als sei es aus Holz, oder noch eher Zement . Wieder was gelernt.) Auf dem Festland angekommen, war ich völlig durchnässt und musste mich vor der Weiterfahrt hinter ein Auto gebückt komplett umziehen, weil ich in einer vom Personal nicht so gut kalkulierten Wellenphase zum hurtigen Sprung ins Wasser abkommandiert wurde. Als man einsah, dass es ein Fehler gewesen war, rief man mir nur: „Run! Run!“ Nicht so einfach, wenn die Füße im Sand versinken und man wenig Kraft hat, zumindest im Vergleich zu tobenden Wellen. Aber herrlich, wenn man es überlebt.
Selbsterwählter Zwang bringt zumindest bei mir einiges in Gang. Sich vor vollendete Tatsachen stellen, sich etwas völlig anderem ausliefern als dem, was zu Hause  oft genug die Bedingungen diktiert – nach der profansten Definition ist das zumindest Abwechslung. Und wenn man eine paradiesische Insel kennenlernen will, muss man gegebenenfalls vorher eben ein paar Höllenfahrten über sich ergehen lassen.

Zum Meer habe ich eine recht spezielle, ambivalente Beziehung, aber darüber habe ich schon in meinem Buch berichtet. Ich laufe ihm hinterher, seit ich es verloren habe. Und Steffen liebt das Tauchen. (Von mir bleibt die phantastische, magische Unterwasserwelt wegen meiner dicken Krankenakte für immer unentdeckt, worüber ich fast heulen könnte.) Deshalb verbrachten wir mehr als die Hälfte unserer dreieinhalb Wochen an verschiedenen Küsten und acht Tage davon blieben wir sogar auf einer einzigen Insel. Das Gesicht des Meeres war aufgrund der instabilen Wetterlage (es war ja Regenzeit) jeden Tag neu, das der Strandes ebenso, eines morgens begrüßte uns sogar ein über Nacht entstandener und recht reißender Fluss, der vom Dorf quer ins Meer lief und uns nicht mehr trockenen Fußes zum Restaurant ließ (wer aber permanenten Hunger hat, der watet gern).
Hätte mir einer vor der Reise gesagt: Für das Privileg, direkt auf dem Strand zu wohnen musst du nachts dreimal eine steile Treppe, eher eine Hühnerleiter herunterklettern, um auf die Toilette zu kommen (meine Nieren fingen wohl auch erst auf Bali an, wieder besser zu funktionieren) und dich mit kaltem Wasser duschen – ich hätte gesagt: „Na, das wollen wir sehen, das in meinem Zustand – sind Sie verrückt? Ich friere sowieso schon und brauche zumindest eine behindertengerechte, ebenerdige Wohnung, keine Hühnerleiter.“ Aber siehe da – ich habe es überlebt. Die Treppe hat mir sicherlich geholfen, ein-zwei Muskeln aufzubauen und Steffens Äußerungen zu der kühlen Außendusche unter freiem Himmel - „Stell dich nicht so an, das ist erfrischend“ - fand ich mit der Zeit gar nicht mehr so anmaßend und realitätsfern.

Die Wärme der tropischen Luft und die Wärme in mir, die sich schlagartig von selbst regulierte, nachdem ich zum Leben erwacht war, spüre ich jetzt noch, Wochen später. Während ich dies schreibe, ist mir, als würde ich gerade zusammen mit den Geckos und Grillen in meinem schwarz-rosa beblümten Wickelrock vor der Hütte sitzen und die blinkenden Bootslichter im schwarzen Wasser schillern sehen. All das, was Bali ausmacht beziehungsweise weshalb man als Normaltourist hingeht - die grünen Reisterrassen, die beeindruckenden Tempel und Tempeltänze, die wilde und die domestizierte Küste mit dem schwarzen oder weißen Sand, die Regenwälder und die vulkanischen und nichtvulkanischen Berge, die berühmte Handwerkskunst, die Herzlichkeit der Menschen, besonders im Hinterland, die unterschwellige Mystik, die unsichtbar wie die Neutrinos das ganze Alltagsleben durchdringt, die Sonne, auch wenn sie meist entweder milchig-weiß oder hinter den dunklen Wolken gar nicht lokalisierbar war, (den manchmal apokalyptisch anmutenden Regen lasse ich jetzt mal weg, weil man seinetwegen selten extra 13.000 km weit reist), die Tiere und die Vögel, die Schmetterlinge und die Blumen, und den ganzen Rest an Schönheit, den ich zu erwähnen vergesse – all das haben auch meine Augen gesehen, aber darüber gibt es so viele Bilder, Reportagen und Schilderungen, dass meine überflüssig sind. Außerdem hat meine Seele all dies nur leise, nebenbei und fast heimlich aufgenommen, sie hatte wohl kapiert, dass diesmal der Körper die erste Geige spielte, dass wir auf der Maslowschen Bedürfnispyramide erst auf den unteren Stufen herumkrabbelten und ich deshalb jeden atemberaubenden Sonnenuntergang gegen eine zünftige indonesische Mahlzeit eingetauscht hätte. Aber aufgenommen hat sie es. Während ich zu Hause in der Zeit mittlerweile nur bis zum Briefkasten gekommen wäre. Und das vermutlich auch noch als Fortschritt bezeichnet hätte. Niemals wäre ich zu Hause so schnell wieder auf die Beine gekommen, im direkten und übertragenen Sinn.

Fazit: Ich würde es wieder tun, und hoffentlich bekomme ich sogar noch Gelegenheit dazu, auch wenn ich mich jetzt erst mal finanziell etwas ruiniert habe und die nächste Reise warten muss. So lange zehre ich von dieser. Jedenfalls: Schonhaltung ist nicht gesund. Permanente Schmerzvermeidung kennt man schon von Zuhause, das halbe Leben ist darauf ausgerichtet, zumal wenn man krank ist. Aber Schmerzvermeidung ist kein Lebenskonzept, Schonhaltung lässt keine Erlebnisse zu. Leben aber besteht nun mal aus Erlebnissen. Und Ungewissheit gehört dazu, es ist geradezu eine Grundvoraussetzung, wenn man sich lebendig fühlen will. Wie viel Energie man darauf verschwendet, eine vermeintliche Sicherheit herzustellen oder aufrechtzuerhalten, also ebendiese Ungewissheit auszuschalten! Das ist ja, als würde man versuchen, das Leben auszuschalten. Ich versuche daran zu denken, wenn ich das nächste Mal bei Nacht und Nebel auf dem Weg zum Flughafen bin und mich frage: „Was mache ich hier bloß?“

Ich esse übrigens immer noch wie ein Scheunendrescher. Es ist jetzt wohl doch der Hunger nach Leben.

4 Kommentare:

  1. Wow, danke danke für diesen Beitrag. Ich hab immer soviel angst im leben, und auch von kindesbeinen gesagt bekommen, mich ja nicht zu überlasten, war das kranke küken in der familie... und habe daher irgendwie immer angst, etwas falsch zu machen, mich zu überfordern.. diese schonhaltung: ich lebe sie nur allzuhäufig ;(
    ich weiß nicht, ob ich mich je nach bali trauen würde. land, farbe, menschen, das klingt alles wahnsinnig spannend und faszinierend. aber ich hätte angst, dass das wasser nicht rein ist oder im notfall kein arzt in der nähe.
    ich sehe nur.. und dafür danke ich dir... dass ich mit permanenten sicherheitsdenken vielleicht auch wunderschöne dinge im leben verpasse.

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    1. Liebe Lizzy, das ist schön zu hören. Das soll zwar nicht heißen, dass ich alle Kranken unverzüglich hinaus und am besten ans andere Ende der Welt scheuchen wollte – eine Pauschalempfehlung gibt es ja für nichts und niemand, das wäre auch verantwortungslos -, aber für die Beruhigung der anderen auf das eigene Leben zu verzichten, das finde ich in der Tat mehr als schade. Umso schwieriger, wenn man schon von Kind an auf das Schonprogramm getrimmt ist wie Du – wenn ich es richtig verstanden habe. Aber Dein Leben leben kannst nur Du selbst, nicht Deine Familie oder sonst irgendjemand auf der Welt. Außerdem muss man es ja nicht gleich so exzessiv betreiben wie ich, es gibt auch viele andere Möglichkeiten. Fest steht allerdings: Die meisten dieser Möglichkeiten tummeln sich außerhalb der eigenen vier Wände (was nach der Volksweisheit oder gar Statistik der gefährlichste Platz der Welt ist – die ganzen Gefahren und Unfälle... Da ist man draußen besser aufgehoben.) Ich wünsche Dir jedenfalls, dass Du das Leben nicht an Dir vorbeiziehen lässt, sondern auch mit Krankheit (Krebs scheint es nicht zu sein?) viel Schönes erlebst. Vielleicht tatsächlich auch mal eine Reise? Kannst ja dann berichten, würde mich sehr freuen.

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    2. Liebe Irja,
      war schön von Dir zu lesen, hatte Dich schon vermisst.
      Seltsam, diese Gedanken "alles tot" habe ich auch seit ein paar Jahren, wenn ich alte Filme sehe. Nächstes Mal denke ich dabei an Dich.
      Hat wohl angefangen, seit sich bei mir jede Menge doofe Krankheiten (bin eine orthopädische Fundgrube) und Leiden und Katastrophen sammeln (die Nachbarn sagten unlängst, sie machen jetzt ein Schild an unsere Straße UNHEIL BITTE NÄCHSTE STRASSE ABBIEGEN).
      Auch das von Dir beschreibe umherwandeln wie ein Geist ist mir vertraut. Als ich so depressiv war und Diabetes bekommen habe (vielleicht war es auch umgekehrt) zu meinen ganzen doofen Unpässlichkeiten, da hab ich mein altes Leben irgendwo verloren.
      Die gute Nachricht, das neue ist für mich mittlerweile ganz vertraut und ich vermisse das alte nicht mehr. Hat auch durchaus Unterhaltungswert.
      Ach egal. Jedenfalls habe ich dabei mein körperliches Selbstvertrauen zurück gelassen. Deshalb trau ich mir keine Fernreisen mehr zu. Aber wenn ich Deine Beschreibungen lese, dann ist es mir, als würdest Du mich mitnehmen. Und manchmal kommt es mir vor, als wäre ich selbst dort gewesen. Nur erzähl ich das niemand. Sonst wird das auch noch behandelt.
      Wegen der Blog-Kommentare muss ich bei mir auch mal schauen. Hat sich zwar noch niemand beschwert, ich bekomme aber auch überwiegend Emails.
      Ich wünsch Dir guten Hunger. Ich nehme gerade ab. Ich lass mir das wenige aber schmecken.
      Liebe Grüßle, Roland

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  2. "Alles tot" war bei mir übrigens schon vor der Krankheit, jetzt ist es manchmal eine beunruhigende Identifikation.
    Du bist ja selbst in der medizinischen oder pflegerischen Branche tätig, wenn ich Dich richtig verstanden habe (?), da stelle ich mir z.B. orthopädische Einschränkungen wirklich störend vor. Wobei ich mal einen interessanten Bericht gesehen habe über Studenten, denen Bleisäcke umgeschnallt wurden an Arme und Beine, so dass sie nur mühsam laufen und den Löffel heben konnten, und die fanden es sehr hilfreich, um nachvollziehen zu können, dass es nichts bringt, alte Leute zu hetzen, obwohl die Versuchung da ist - die können es wirklich nicht besser. Das fördert eindeutig die Empathie. Was nicht heißen soll: Toll, dass Du selber so krank bist, dann weißt Du, wie es Deinen Patienten geht. Wünsche Dir jedenfalls das Gegenteil, und finde schön, dass Du daran einen Unterhaltungswert erkennen kannst, dann wirst Du wohl nicht untergehen. Gut so.

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